Eine kleine Geschichte.
Die ich euch einfach mal zeigen will.
"Vier lange, schnelle Rolltreppen führen in der U-Bahn-Station Raffles City in die Tiefe. Der Einstieg ist von einem Mäuerchen aus dunkelrotem Marmor umfasst. Da saßen sie immer: Jugendliche, die auf Freunde warteten, nach der Schule klönten oder einfach die kühle Luft der exzellenten Klimaanlage im Untergrund genossen. Sie tranken nicht und rauchten nicht, aßen nicht, kauten kein Kaugummi, hörten keine Musik, fuhren nicht Skateboard, spuckten nicht, brachten keine Hunde, Katzen, nichts Lebendes mit. Denn all das ist verboten. Sie saßen nur da. Und nun ist auch das verboten.
Ein neues Schild kam zu den Abertausenden Schildern, die den Singapurern auf Schritt und Tritt sagen, was sie zu tun, und vor allem, was sie zu lassen haben. Die Schilder sind bewehrt mit zahllosen Augen uniformierter Staatsdiener, die prompt und unbestechlich das Gesetz exekutieren. Nun also ist Sitzen verboten und kostet -- Fine 500 Dollars -- 500 Mark Strafe.
Doch erstmals wirkte die Drohung nicht wie gewohnt. Swee Yin Wang sitzt trotzdem auf dem Mäuerchen. Beineschlenkernd unterhält sie sich mit ihren Freunden und wagt es, das neue Schild in ihrem Rücken «totalen Quatsch» zu nennen. Obwohl sie ein Foto von sich in der staatstragenden Zeitung Straits Times riskiert. Sünder gegen die öffentliche Ordnung werden in Singapur stets mit Namen, Adresse und Bild veröffentlicht. Aber diesmal erlaubt sich Swee, die blau gewandete Exekutive mit hoch erhobenen Händen zu fragen: «Warum kann ich hier nicht sitzen?»
Weil die Regierung meint, gammelnde Jugendliche seien ein «Schandfleck». Dieses Argument wurde später ersetzt durch das der Fürsorge des Staates, mit der er seine Bürger vorm Fallen bewahre. «Das Sitzen auf dem Mäuerchen ist gefährlich» schrieb die U-Bahn-Behörde in der Zeitung. Und weil Swee Yin Wang und Konsorten das nicht einsehen, «muß nun eben die Strafe her». Swees vager Teenagerprotest auf dem Mäuerchen in der U-Bahn-Station Raffles City sorgte tagelang für Schlagzeilen in der Presse und schließlich für eine im staatlichen Fernsehen übertragene Parlamentsdebatte.
So handelt die absolute Autorität einer konfuzianischen Regierung, die immer weiß, was gut für ihre Bürger ist. Nach diesem Muster hat sie 2,7 Millionen Menschen programmiert, die aus der winzigen Insel einen wirtschaftlichen Riesen formten."
Quelle:
Deckenbach, Karin: Das Diktat der Saubermänner. -- In: Singapur & Malaysia. -- (Geo Special ; Nr. 5/1992). -- ISBN 3570010799. -- S.38 - 40
Kleine Geschichte
- StefanGlabisch/Entetrente
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