Artikel in der FAZ zum Schatzregal
Verfasst: 14.12.2010 14:00
Bald wird nicht mehr hadrianisch geteilt Auch in Hessen soll das Schatzregal eingeführt werden - kurz nach der Entdeckung der Reiterstatue des Trajan. Von Karen Allihn
FRANKFURT, 13. Dezember. Der Wind weht heisere Rufe, Peitschenknallen, Pferdewiehern heran. Die römische Familie am Straßenrand erstarrt; hastig stellt der Vater den Geldkasten auf den Grund der frisch ausgehobenen Grube. Die Frau zieht ihren goldenen neuneckigen Ring vom Finger und wirft ihn hinab, die Tochter lässt einen Silberring folgen, der Sohn einen Reitersporn. Schließlich löst der Vater eine Gewandnadel und legt sie auf den Schatz, bevor er das Loch zuschaufelt und mit Frau und Kindern den Ochsenkarren besteigt - im Jahr 260 nach Christus auf der Flucht vor marodierenden Germanen in der sich gerade samt Limes auflösenden römischen Provinz Germania superior.
Die römische Familie hat ihre Schätze nicht wiedergesehen. Auch ein plündernder Germanen-Trupp musste seine 130 Meter entfernt verborgenen Reste einer bronzenen Reiterstatue für immer zurücklassen - direkt neben der Straße im heutigen Frankfurter Stadtteil Nieder-Eschbach, die einst zum Hauptort jener Provinz, der Civitas Ulpia Taunensium Nida, führte. Mehr als 17 Jahrhunderte lang ruhten die wertvollen Stücke im Boden. Im Jahr 2010 nach Christus nun geben sie, in der vergangenen Woche in Frankfurt präsentiert, möglicherweise den letzten Anstoß für die Einführung des Schatzregals in Hessen.
Nach dieser rechtlichen Regelung wird herrenloses Gut, das bis zum Zeitpunkt des Fundes verborgen war, mit seinem Auffinden Eigentum des Staates, ohne dass dazu ein weiterer Übertragungsakt erforderlich ist. Die Regelung gilt in allen Bundesländern - außer in Bayern, Nordrhein-Westfalen und eben Hessen. Hier gilt noch die Hadrianische Teilung, die auf römisches Recht zurückgeht und im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschrieben ist. Sie legt als Eigentümer eines herrenlosen Fundstücks zur einen Hälfte den Finder fest und zur anderen den "Eigentümer der Sache, in welcher der Schatz verborgen war". Bei archäologischen Funden in Hessen gilt also: Die eine Hälfte gehört dem Entdecker, die andere dem Eigentümer des Bodens, in dem das Stück steckte.
Nach Informationen dieser Zeitung soll sich das nun ändern: Vielleicht noch diese Woche, spätestens im Januar soll ein Gesetzentwurf zur Einführung des Schatzregals in den Hessischen Landtag eingebracht werden. Hat doch das Land Hessen immer wieder Hunderttausende Euro zahlen müssen, um archäologische Funde von privaten Eigentümern auszulösen: 70000 Euro allein, wie der hessische Landesarchäologe Egon Schallmayer berichtet, auf der Grundlage eines unabhängigen Gutachtens für die Statue des Keltenfürsten vom Glauberg und 150 000 Euro für die Grabbeigaben aus den Fürstengrabhügeln am Rande der Wetterau.
Auch der im Sommer 2009 im nordhessischen Waldgirmes geborgene Teil einer römischen Reiterstatue des Augustus, der vergoldete Bronzekopf eines vorwärtsdrängenden Hengstes mit reichverziertem Zaumzeug, gehört zur Hälfte dem Grundeigentümer. Für die Auslösung des Schädels sowie weiterer wertvoller Relikte rechnet die Ausgräberin Gabriele Rasbach von der Römisch-Germanischen Kommission (RGK) des Deutschen Archäologischen Instituts mit einer sechsstelligen Summe. Noch sei der Vorgang jedoch nicht abgeschlossen.
Für die Frankfurter Reiterstatue, höchstwahrscheinlich Kaiser Trajans und einst auf dem Forum von Nida aufgestellt, und für den Schatz von 107 römischen Silbermünzen ist mit Ähnlichem zu rechnen. War es doch der lizenzierte Sondengänger Roberto Carelli, dessen Metallsuchgerät neben der alten Römerstraße piepste - nachdem irgendwann ein Pflug den verrotteten Geldkasten und den Bronzehort erfasst und Teile an die Oberfläche befördert haben mag. Das Denkmalamt stellte sogleich Nachgrabungen an - die Archäologen jubeln über eine Sensation.
Allerdings könnte es geschehen, dass die wertvollen Stücke, die noch bis zum 16. Januar 2011 im Frankfurter Archäologischen Museum zu sehen sind, der Öffentlichkeit auf Dauer vorenthalten werden müssen. Es sei nicht ausgeschlossen, sagt die Leiterin des Frankfurter Denkmalamts, Andrea Hampel, "dass die Funde nicht ausgestellt werden können". Denn die Frage, wem sie gehören, muss noch geklärt werden. Für die eine Hälfte ist sicher: Sie gehört nach Hadrianischer Teilung dem Besitzer des Grund und Bodens, der Frankfurter Waisenhaus-Stiftung. Deren Direktor Peter Gerdon stellt dem Museum eine kostenlose Dauerleihgabe in Aussicht.
Für die gesamte andere Hälfte sieht sich der Entdecker Roberto Carelli als Eigentümer. Da es sich jedoch nicht um einen geschlossenen Fund handele, so Egon Schallmayer, sondern ein Teil der Relikte aus den Nachgrabungen des Denkmalamts stamme, gehöre dem Amt die Hälfte der Hälfte. Inzwischen hat Carelli, der überzeugt ist, dass sein Anspruch über die selbst gefundenen 42 Statuen-Bruchstücke und 40 Münzen hinausgehe, einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Weil das Denkmalamt mitgeteilt habe, er habe nur Anspruch auf die selbst gefundenen Münzen, möchte er nun seine "Entdeckerrechte" geltend machen. Bis jetzt habe er keine schriftliche Bestätigung, dass er der Entdecker sei. "Das ist doch nicht fair. Der Münzschatz gehört nicht dem Amt."
Damit in solchen Fragen endlich Rechtssicherheit entsteht, hält der hessische Landesarchäologe die Einführung des Schatzregals für wichtig: "So nah wie jetzt waren wir noch nie dran." Die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva Kühne-Hörmann (CDU), unterstützt die Pläne.
Die Sorge, dass archäologische Funde, etwa von Sondengängern, nach dieser Gesetzesänderung nicht mehr gemeldet würden, teilt sie ebensowenig wie Egon Schallmayer und dessen Kollege Dieter Planck, der ehemalige Landesarchäologe von Baden-Württemberg. Es habe, so Planck, "keinen Unterschied zwischen der Zeit vor und nach 1972 gegeben", als dort das Schatzregal eingeführt worden sei. Eine Meldepflicht für "Funde von hervorragendem wissenschaftlichem Wert" gebe es ohnehin, auch würden von den Denkmalpflegern Fundprämien gezahlt. Der Vorsitzende des Verbandes der deutschen Münzenhändler, Stefan Sonntag, hält dagegen nichts von einer Einführung des Schatzregals - es befördere lediglich den Schwarzhandel.
Text: F.A.Z., 14.12.2010, Nr. 291 / Seite 9
FRANKFURT, 13. Dezember. Der Wind weht heisere Rufe, Peitschenknallen, Pferdewiehern heran. Die römische Familie am Straßenrand erstarrt; hastig stellt der Vater den Geldkasten auf den Grund der frisch ausgehobenen Grube. Die Frau zieht ihren goldenen neuneckigen Ring vom Finger und wirft ihn hinab, die Tochter lässt einen Silberring folgen, der Sohn einen Reitersporn. Schließlich löst der Vater eine Gewandnadel und legt sie auf den Schatz, bevor er das Loch zuschaufelt und mit Frau und Kindern den Ochsenkarren besteigt - im Jahr 260 nach Christus auf der Flucht vor marodierenden Germanen in der sich gerade samt Limes auflösenden römischen Provinz Germania superior.
Die römische Familie hat ihre Schätze nicht wiedergesehen. Auch ein plündernder Germanen-Trupp musste seine 130 Meter entfernt verborgenen Reste einer bronzenen Reiterstatue für immer zurücklassen - direkt neben der Straße im heutigen Frankfurter Stadtteil Nieder-Eschbach, die einst zum Hauptort jener Provinz, der Civitas Ulpia Taunensium Nida, führte. Mehr als 17 Jahrhunderte lang ruhten die wertvollen Stücke im Boden. Im Jahr 2010 nach Christus nun geben sie, in der vergangenen Woche in Frankfurt präsentiert, möglicherweise den letzten Anstoß für die Einführung des Schatzregals in Hessen.
Nach dieser rechtlichen Regelung wird herrenloses Gut, das bis zum Zeitpunkt des Fundes verborgen war, mit seinem Auffinden Eigentum des Staates, ohne dass dazu ein weiterer Übertragungsakt erforderlich ist. Die Regelung gilt in allen Bundesländern - außer in Bayern, Nordrhein-Westfalen und eben Hessen. Hier gilt noch die Hadrianische Teilung, die auf römisches Recht zurückgeht und im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschrieben ist. Sie legt als Eigentümer eines herrenlosen Fundstücks zur einen Hälfte den Finder fest und zur anderen den "Eigentümer der Sache, in welcher der Schatz verborgen war". Bei archäologischen Funden in Hessen gilt also: Die eine Hälfte gehört dem Entdecker, die andere dem Eigentümer des Bodens, in dem das Stück steckte.
Nach Informationen dieser Zeitung soll sich das nun ändern: Vielleicht noch diese Woche, spätestens im Januar soll ein Gesetzentwurf zur Einführung des Schatzregals in den Hessischen Landtag eingebracht werden. Hat doch das Land Hessen immer wieder Hunderttausende Euro zahlen müssen, um archäologische Funde von privaten Eigentümern auszulösen: 70000 Euro allein, wie der hessische Landesarchäologe Egon Schallmayer berichtet, auf der Grundlage eines unabhängigen Gutachtens für die Statue des Keltenfürsten vom Glauberg und 150 000 Euro für die Grabbeigaben aus den Fürstengrabhügeln am Rande der Wetterau.
Auch der im Sommer 2009 im nordhessischen Waldgirmes geborgene Teil einer römischen Reiterstatue des Augustus, der vergoldete Bronzekopf eines vorwärtsdrängenden Hengstes mit reichverziertem Zaumzeug, gehört zur Hälfte dem Grundeigentümer. Für die Auslösung des Schädels sowie weiterer wertvoller Relikte rechnet die Ausgräberin Gabriele Rasbach von der Römisch-Germanischen Kommission (RGK) des Deutschen Archäologischen Instituts mit einer sechsstelligen Summe. Noch sei der Vorgang jedoch nicht abgeschlossen.
Für die Frankfurter Reiterstatue, höchstwahrscheinlich Kaiser Trajans und einst auf dem Forum von Nida aufgestellt, und für den Schatz von 107 römischen Silbermünzen ist mit Ähnlichem zu rechnen. War es doch der lizenzierte Sondengänger Roberto Carelli, dessen Metallsuchgerät neben der alten Römerstraße piepste - nachdem irgendwann ein Pflug den verrotteten Geldkasten und den Bronzehort erfasst und Teile an die Oberfläche befördert haben mag. Das Denkmalamt stellte sogleich Nachgrabungen an - die Archäologen jubeln über eine Sensation.
Allerdings könnte es geschehen, dass die wertvollen Stücke, die noch bis zum 16. Januar 2011 im Frankfurter Archäologischen Museum zu sehen sind, der Öffentlichkeit auf Dauer vorenthalten werden müssen. Es sei nicht ausgeschlossen, sagt die Leiterin des Frankfurter Denkmalamts, Andrea Hampel, "dass die Funde nicht ausgestellt werden können". Denn die Frage, wem sie gehören, muss noch geklärt werden. Für die eine Hälfte ist sicher: Sie gehört nach Hadrianischer Teilung dem Besitzer des Grund und Bodens, der Frankfurter Waisenhaus-Stiftung. Deren Direktor Peter Gerdon stellt dem Museum eine kostenlose Dauerleihgabe in Aussicht.
Für die gesamte andere Hälfte sieht sich der Entdecker Roberto Carelli als Eigentümer. Da es sich jedoch nicht um einen geschlossenen Fund handele, so Egon Schallmayer, sondern ein Teil der Relikte aus den Nachgrabungen des Denkmalamts stamme, gehöre dem Amt die Hälfte der Hälfte. Inzwischen hat Carelli, der überzeugt ist, dass sein Anspruch über die selbst gefundenen 42 Statuen-Bruchstücke und 40 Münzen hinausgehe, einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Weil das Denkmalamt mitgeteilt habe, er habe nur Anspruch auf die selbst gefundenen Münzen, möchte er nun seine "Entdeckerrechte" geltend machen. Bis jetzt habe er keine schriftliche Bestätigung, dass er der Entdecker sei. "Das ist doch nicht fair. Der Münzschatz gehört nicht dem Amt."
Damit in solchen Fragen endlich Rechtssicherheit entsteht, hält der hessische Landesarchäologe die Einführung des Schatzregals für wichtig: "So nah wie jetzt waren wir noch nie dran." Die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva Kühne-Hörmann (CDU), unterstützt die Pläne.
Die Sorge, dass archäologische Funde, etwa von Sondengängern, nach dieser Gesetzesänderung nicht mehr gemeldet würden, teilt sie ebensowenig wie Egon Schallmayer und dessen Kollege Dieter Planck, der ehemalige Landesarchäologe von Baden-Württemberg. Es habe, so Planck, "keinen Unterschied zwischen der Zeit vor und nach 1972 gegeben", als dort das Schatzregal eingeführt worden sei. Eine Meldepflicht für "Funde von hervorragendem wissenschaftlichem Wert" gebe es ohnehin, auch würden von den Denkmalpflegern Fundprämien gezahlt. Der Vorsitzende des Verbandes der deutschen Münzenhändler, Stefan Sonntag, hält dagegen nichts von einer Einführung des Schatzregals - es befördere lediglich den Schwarzhandel.
Text: F.A.Z., 14.12.2010, Nr. 291 / Seite 9